In den alten Gewölben des Fürst-Pückler-Schlosses zu Branitz hatte der Cottbuser Ernährungswissenschaftler Dr. Pavel Kousa nun schon seit einigen Wochen alte Handschriften und Kochbücher aus dem 16. Jahrhundert studiert, als ihm im April 2011 eine eher unscheinbare Schrift aus dem Jahre 1597 in die Hände fiel: „De bonum saporem lusatiae“ („Vom guten Geschmack in der Lausitz“) hieß es da und der Untertitel versprach „Eyn kleynes Elaborat ueber den Proschymer Flaemmekuchen“.
Flammkuchen in der Lausitz? Dr. Kousa stockte der Atem. Hatte man bisher doch immer den Elsässern in Frankreich zugeschrieben, die Erfinder des Flammkuchens zu sein.
Doch Dr. Kousa erinnerte sich, dass Jahrhunderte lang auch die Italiener für sich in Anspruch nahmen, die Nudel erfunden zu haben – bis kürzlich in über zweitausend Jahre alten Tontöpfen in China die Reste von Nudeln aus Reismehl entdeckt wurden und zweifelsfrei nachgewiesen werden konnte, dass Reisnudeln in China schon lange vor Christi Geburt ein Grundnahrungsmittel waren.
Neugierig betrachtete Dr. Kousa den Kupferstich auf dem Deckblatt des in Leder gebundenen Büchleins. Zwei Köchinnen waren in einer prächtig ausgestatteten, mittelalterlichen Küche bei ihrer Arbeit zu sehen: Die linke hielt auf einem hölzernen Backofenschieber einen Flammkuchen bereit, während die rechte Köchin offensichtlich die Temperatur im Ofen kontrollierte. Und auch die antiken Kochrezepte im Inneren des Büchleins ließen keinen Platz mehr für Zweifel: Den „Proschymer Flaemmekuchen“ gab es in der Lausitz schon lange vor seinem Elsässer Gegenstück, das dort auch „Tarte flambée“ genannt wird. Vermutlich war es später ein französischer Handlungsreisender auf der Alten Weinstraße zwischen Straßburg und Breslau, der im 17. Jahrhundert das Flammkuchenrezept aus der Lausitz in seine elsässische Heimat mitbrachte.
Doch wie kamen die Lausitzer auf die Idee des Flammkuchens? Auch dieses kulinarische Geheimnis konnten die Studien von Dr. Kousa lüften: In der „Sage vom heiligen Georg, dem Krabatt-Drachen und der erschroecklichen und zugleych erquicklichen Entdeckung des Lausitzer Flammebrodts“ aus dem Jahre 1127 wird beschrieben, dass der Lausitzer Flammkuchen in alten Zeiten direkt über der Braunkohle gegart wurde, die z.B. im Dörfchen Proschim unmittelbar an der Erdoberfläche austrat und damals ohne Werkzeuge einfach mit der Hand eingesammelt werden konnte.
Der Sage nach stieg in Proschim – nahe des heutigen Restaurants „Schmeckerlein“ – während eines anstrengenden Fluges von Spremberg nach Senftenberg der alte Krabatt-Drache vom Himmel und wollte sich eigentlich nur rasch verschnaufen. Doch sein heißer Atem streifte die aus dem Boden hervorquellende Kohle, die sich sofort entzündete.
Der Drachen war verzweifelt, als er in das züngelnde Flammenmeer auf dem Erdboden sah und wusste nicht mehr ein noch aus: Schließlich wollte er doch seine geliebte Lausitzer Heimat nicht zerstören! In diesem Moment kam der Schutzheilige der Proschimer Bauern – Sankt Georg – des Weges, sah die qualmende Feuersbrunst und ließ vor Schreck sein Brot zu Boden fallen. Gemeinsam mit dem Drachen machte sich Sankt Georg eilig daran, das Feuer zu löschen.
Und als auch die letzten Flammen erstickt waren, fand der heilige Mann auf dem verkohlten Boden sein Brot, das nun geröstet war und ganz vorzüglich schmeckte. Er teilte sein „Flammebrodt“ mit dem Drachen, der sich alsbald wieder gestärkt in die Lüfte schwang, und Sankt Georg erzählte daraufhin den Proschimer Bauern von seiner Entdeckung des „brennenden Bodens“. Die Proschimer haben fortan aus ihren Gärten die Braunkohle gekratzt, sie angezündet und darauf ihr dünnes Fladenbrot gegart, das sie von nun an „Flammekuchen“ nannten.
Im Restaurant „Schmeckerlein“ in Proschim wird die lange Tradition des Lausitzer Flammkuchens noch heute fortgeschrieben und jedes Jahr zwischen Mai und Oktober unter dem Sternenhimmel so manch leckerer Flammkuchen aus dem Steinbackofen serviert. Und selbst wenn Dr. Kousa und seine Entdeckungen nur ein Fantasieprodukt unseres Küchenchefs sein sollten, so bleibt der Flammkuchen in Proschim doch immer ein besonders wohlschmeckender Beweis der Kochkunst und Gastfreundschaft in der Lausitz.